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»Der Untertan« am Gorki: Buckeln, treten, Kaiser anbeten

Christian Weise inszeniert Heinrich Manns »Der Untertan« am Berliner Maxim-Gorki-Theater

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.
Wie ein morbider Preußen-Comic: Via Jikeli spielt den »Untertan« Diederich Heßling.
Wie ein morbider Preußen-Comic: Via Jikeli spielt den »Untertan« Diederich Heßling.

Der Regisseur Christian Weise ist kein Mann für subtile Botschaften. Während viele seiner Kollegen ihre Aufgabe darin sehen, einen kanonischen Text in die Jetztzeit zu transferieren und ihn mit Widersprüchen unserer Gegenwart zu konfrontieren, schießt der gelernte Puppenspieler fröhlich übers Ziel hinaus. Weise hat schon Wilhelm Tell in einem Karpfenteich spielen lassen und Shakespeare im Star-Wars-Kosmos.

Die mitunter etwas anstrengende Originalität seiner Inszenierungen fällt auf in einer Branche, der die eigene Fantasie in den letzten Jahren etwas unheimlich geworden ist und die daher oftmals lieber Botschaften transportiert, als dem Spiel freien Lauf zu lassen. Ins Programm des politisch äußerst ehrgeizig auftretenden Maxim-Gorki-Theaters passt Weise trotzdem, setzt man unter Shermin Langhoffs Intendanz doch auf die Versöhnung von E und U und auf das Lachen als Schmiermittel der Erkenntnis.

Weise adaptiert hier nun »Der Untertan« von Heinrich Mann. Die Satire, erstmals 1914 als Fortsetzungsroman veröffentlicht, erzählt die Lebensgeschichte des Chemikers und Papierfabrikanten Diederich Heßling, dem zur Zeit Wilhelms II. ein politischer und gesellschaftlicher Aufstieg gelingt. Wegweisend für ihn ist dabei die Devise »Nach oben buckeln und nach unten treten«. Er verehrt den Kaiser, ist aber vor allem ein Opportunist, der auch kein Problem damit hat, mit den Sozialdemokraten zu paktieren, wenn es ihm denn nützt. Der Untertitel des Manuskripts lautete ursprünglich »Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.«, hier sollte also eine ganze Gesellschaft porträtiert werden. Kurt Tucholsky beschrieb das Buch begeistert als »Herbarium des deutschen Mannes«.

Weise nimmt diesen Gedanken auf, indem er die beschriebene Welt noch weiter verdichtet. Er lässt die Geschichte mit Anleihen beim Bänkelgesang aufführen. Anfangs stimmt Till Wonka sogar das Mackie-Messer-Lied aus der »Dreigroschenoper« an, mit einem etwas holprig umgedichteten Text. Ohnehin gibt es viel Musik, Jens Dohle und Falk Effenberger sitzen links und rechts der Bühne an Keyboard und Schlagzeug.

Zwischen ihnen hat die Bildende Künstlerin Julia Oschatz ihre Bühne aufgebaut. Großformatige Zeichnungen in Grautönen zeigen Szenen und Räume aus dem Roman: ein Gerichtsaal, die Papierfabrik oder die Kneipe, in der Heßling mit den Kameraden aus seiner Studentenverbindung zecht. Die Figuren auf den Bildern sind zu Karikaturen verzerrt, es sieht aus, als hätte Otto Dix eine Graphic Novel abgeliefert. An ihren Köpfen sind Klappen angebracht, die Schauspieler können sie öffnen und ihre Gesichter ins Bild einfügen, wie man es von Aufstellern an Touristenattraktionen kennt. Auch Requisiten wie Bierkrüge oder eine Spritze und sogar eine ganze Kaffeetafel zum Umschnallen sind hier aus Pappe gestaltet. Die Botschaft ist klar: Hier ist alles nur Fassade.

Auch in seiner Stückfassung hebt Weise verstärkt auf das im Roman behandelte Theater-Thema an. Der Schauspieler wird darin zur bezeichnenden Figur der wilhelminischen Gegenwart erklärt. Er ist in diesem Sinne jedoch nicht als Künstler zu verstehen, sondern eher als Meister der Verstellung, als jemand, der das Spiel der anderen um ihn herum so gut mitspielen kann, dass er irgendwann selbst die Regeln bestimmen darf.

Das mit Fatsuits, angeklebten Hasenzähnen, falschen Schnurrbärten und monströsen Schulterpolstern ausgestattete Ensemble fügt sich gut ein in dieses expressionistische Setting. Es erzählt die Geschichte mit Tempo, viel Witz und Slapstickeinlagen. Heßling selbst wird, breit berlinernd, von Via Jikeli verkörpert, die gerade erst ihr Studium an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch beendet hat und nun bereits einen großen Auftritt hinlegt. Sie stampft und poltert über die Bühne, brüllt und wimmert, grimassiert, reißt die Augen grotesk weit auf und beweist bei all dem ein beeindruckendes Gespür für Timing.

Auch den weiteren Spielern Marta Kizyma, Catherine Stoyan, Tim Freudensprung und Till Wonka sieht man eine ganze Weile gerne zu, dann aber tritt ein dramaturgisches Problem auf. Der Stoff rückt durch die Überzeichnung immer weiter weg, er verliert bald völlig den Bezug zur Gegenwart. Manns satirische Mittel versuchten eine Wahrheit herauszuarbeiten, Weise fokussiert diese nun erneut mit den Mitteln des Bänkelgesangs. Zusammen aber wirkt das Ergebnis völlig künstlich. So als wäre der Inhalt des Textes gar nicht so wichtig, als wollte das Theater hier einfach mal stolz seine Instrumente präsentieren.

Dagegen wäre nichts einzuwenden, niemand ist verpflichtet, politisches Theater zu machen. Es wäre völlig in Ordnung, schlicht unterhalten zu wollen. Nur gelingt das nicht, denn die Mittel, die Weise hier aufbringt, sind letztlich doch begrenzt. Das raffinierte Bühnenbild, die schrillen Kostüme, die Knallchargen auf der Bühne – all das ist nach einer Dreiviertelstunde erfasst, erkannt und erschöpfend bewundert. Der Abend ist aber doppelt so lang. Um die zweite Hälfte zu retten, bräuchte es entweder noch mehr Spektakel oder etwas mehr Tiefe.

Weise entscheidet sich stattdessen für ein paar ironische Anspielungen auf das Theater. Und versucht dann seine Inszenierung nachträglich doch noch zu politisieren. Fast am Ende kommt Heinrich Mann selbst zu Wort, in einer Rede sorgte er sich Anfang der 20er Jahre um die Stabilität der Weimarer Demokratie. Es folgt eine Aufforderung an das Publikum, Gestalten wie der Hauptfigur nicht das Ruder zu überlassen. »Der Untertan« wird hier also eigentlich als Roman über den Aufstieg des Nationalsozialismus interpretiert. Und die Hauptfigur als einer von der Sorte, vor der man sich auch heute in Acht nehmen muss.

Nun gut, aber wo sind die Heßlings derzeit zu entdecken? Man soll in ihm wohl Züge eines Akteurs der AfD ausmachen. Nur: Wo sind die Ähnlichkeiten zu den Höckes, den Weidels oder Chrupallas? Man erkennt sie nicht, und zwar vielleicht auch deshalb, weil hier alles so grell geschminkt und gespielt ist, dass jede Wirklichkeit von der Bühne flieht.

Nächste Vorstellungen: 30.12., 25.1.

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